Junge Künstler lassen ihre Fassaden fallen

Ausstellung „Was uns bewegt“ im Wittenberger Stadtmuseum eröffnet / Schüler ziehen Klamotten aus und setzen ein Statement

Im Wittenberger Stadtmuseum „Alte Burg“ fallen die Klamotten. Es mag vielleicht eine unkonventionelle Idee für eine Kleinstadt wie Wittenberge sein, aber es ist eine Botschaft, die ankommt. Während der offiziellen Eröffnung der Ausstellung „Was uns bewegt“ fangen die versammelten Jugendlichen an, sich auszuziehen. Ebenso Museumsleiter Marcel Steller.
Die dicken Pullover landen auf dem Boden. Unter ihnen kommen weiße T-Shirts mit Symbolen und Schriftzügen zum Vorschein: Fische, die Nationalfarben der Ukraine, rote Handabdrücke. „Sie haben sich von ihren Fassaden befreit“, erklärt Steller die Idee. „Es war ein symbolischer Akt, um zu zeigen, wie es ihnen wirklich geht.“


20 Kunstwerke – 20 starke Meinungen

Denn letztlich ist es genau das, womit sich die am Dienstag eröffnete Ausstellung beschäftigt: mit der Fassade von jungen Menschen und was sich dahinter alles verbirgt. „All diese negativen Schlagzeilen, die die Medien in den letzten Jahren geprägt haben, machen nicht nur was mit älteren, sondern auch jüngeren Menschen“, sagt Steller. „Sie halten oft eine Fassade aufrecht, weil sie sich nicht trauen, etwas zu sagen. Deswegen ist es umso wichtiger, dass wir sie fragen und ihre Meinung hören.“
Was für starke Meinungen sie haben, zeigen die circa 20 Kunstwerke, die nun im Stadtmuseum ausgestellt sind. Politik, Umwelt, Fußball, Corona, das Klima – es sind viele Themen, die hier aufgegriffen werden. Mal ernst, mal satirisch, mal malerisch, mal literarisch.


Das erste Mal Schülerarbeiten ausgestellt

„Ihre Herangehensweisen sind alle unterschiedlich“, sagt Liane Richter. Die Kunstlehrerin des Oberstufenzentrums Prignitz ist sichtlich stolz auf ihre Schüler, die die 12. und 13. Klasse besuchen. Nicht nur, dass sie solche Arbeiten abgeliefert haben, sondern dass sie diese auch voller Überzeugung und Selbstbewusstsein bei der Eröffnung vorstellen.
„Es ist das erste Mal, dass wir die Gelegenheit haben, die Arbeiten in einem Museum auszustellen.“ Es sei keine neue Aufgabe, die sich die Kunstlehrerin für ihre Schützlinge ausgedacht hat. „In der 12. Klasse machen sie immer ein Probestück und in der 13. Klasse ist es ein fester Bestandteil der Halbjahresnote zusammen mit der Facharbeit.“ Doch wirklich zu Gesicht bekommen habe die endgültigen Kunstwerke außer beim Tag der offenen Tür niemand, „und selbst da bleiben sie ja mehr oder weniger hinter verschlossenen Türen.“


Ein Kunstwerk mit Liebe zum Detail

Begeistert sind aber nicht nur die Ausstellungsbesucher, sondern auch die Künstler selbst. „Es ist ein gutes Gefühl, dass die Werke hier stehen. Denn so kann man etwas bewegen. Sie werden gesehen und regen zum Nachdenken an“, sagt die 19-jährige Leoni Sänger. „Außerdem, wieso sollte man Kunst fabrizieren, wenn sie dann nur irgendwo rumsteht und keiner sie sieht?“, fragt Wilhelm Tillack.
Besonders ein Thema beschäftigt Sänger und ihren Kunstpartner Tillack: die Umweltverschmutzung durch Müll. „Es landet so viel Plastik im Meer. Aber den Großteil kriegen wir gar nicht zu Gesicht. Deswegen haben wir ein Kunstwerk gemacht, das man nicht beim Vorbeigehen versteht und bei dem es bei jedem weiteren Hinsehen neue Details zu entdecken gibt“, erklärt die 19-Jährige.
Eines steht in jedem Fall fest: Übersehen kann man ihr Werk nicht. Die beiden jungen Erwachsenen stehen vor einem großen Aquarium, erklären den Besuchern die Details, wie den vielen Müll, der unterhalb der Landschicht im Wasser schwimmt. Oder die kleinen Playmobil-Figuren, die vereinzelt zwischen dem Müll hervorlugen. „Diese stehen sinnbildlich für die Menschheit.“ Und was wohl der große Rettungsring, der über dem Aquarium hängt, bedeutet?
Es soll nicht das letzte Mal sein, dass Schule und Museum verbunden werden. „Wir wollen breit in der Stadt aufgestellt sein“, so Steller. Das bedeute zum einen, in den Schulen präsent zu sein und jüngere Menschen anzusprechen. Zum anderen sei es aber auch notwendig, den Austausch anzuregen und zu zeigen, dass es nicht nur eine feste Meinung gibt.
„Das Museum ist ein Ort für den offenen Dialog zwischen verschiedenen Religionen, Zugehörigkeiten, Meinungsbildern und eben auch Altersgruppen“, fasst Steller zusammen. Die Schüler-Ausstellung „Was uns bewegt“ wird bis zum 7. Mai im Wittenberger Stadtmuseum „Alte Burg“ zu sehen sein.

SVZ, 22.02.2023, Gina Werthe